Die Angst saß mir buchstäblich im Nacken. Auf jedes Knacken und Knistern lauschend stand ich irgendwo im Nirgendwo, um mich herum nichts als Pinienbäume, Büsche und kniehohes Gras. Der Wanderweg mehrere hundert Meter entfernt… ein Zaun? Fehlanzeige. Jeden Moment, so dachte ich panisch, könnte ein Stier mit riesigen Hörnern wutschnaubend aus dem Gebüsch kommen und glauben, wir greifen seine Herde an. Wir, mein Fotografen-Freund und ich, haben Urlaub in der Toskana gemacht und seit ich bei der „Freien Presse“ Volontärin bin, schreibe ich über jede meiner Reisen einen Artikel für die Seiten „Reise & Erholung“, die immer in der Samstagsausgabe erscheinen.
So stand ich also mitten im Regionalpark der Maremma. Mehrere Hundert weiße Rinder leben in diesem Park, der so groß ist wie die Insel Sylt, noch wild. Die Cowboys der Toskana, die Butteri, treiben sie im Sommer in küstennahe Gebiete und im Winter in geschütztere Wälder. Informationen und Eindrücke für meinen Text hatte ich längst genug gesammelt. Was fehlte, war ein Foto; ein Foto von einem dieser Rinder mit den großen gebogenen Hörnern.
Rund zehn Kilometer waren wir schon durch den Park gewandert, aber nirgends hatten wir eins der Tiere gefunden. Doch von einem Aussichtsturm aus sahen wir sie dann. Also nichts wie hin. Blöd nur, dass die Herde sich ins Dickicht zurückgezogen hatten. Mein Fotografen-Freund kannte offenbar keine Furcht. Ohne zu zögern verließ er den Weg und stapfte auf die Herde zu – ich hinterher. Ganz nah pirschten wir uns an sie heran. Das leise Surren der Kamera ließ die Tiere aufhorchen. Die Maremma-Rinder sind scheu, suchen bei Begegnungen mit Wanderern meist schnell das Weite. Doch wir hatten Glück: Aufmerksam und völlig regungslos starrten die Kühe uns an, bis wir uns langsam und vorsichtig wieder zurückzogen.
Der Stier kam nicht, um seine Herde zu beschützen. Als wir zurück in Richtung Parkplatz wanderten stand mir der Schweiß auf der Stirn – aber nicht vor Anstrengung.
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