Von Jürgen Freitag
![Ein Arbeitsplatz ohne Computer? Damals selbst verständlich. Die Redakteure hatten stattdessen ein Wähltelefon, einen Kalender und die Karte der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vor Augen. Fotos: Jürgen Freitag/DDR-Museum Berlin]()
Ein Arbeitsplatz ohne Computer? Damals selbstverständlich. Die Redakteure hatten stattdessen ein Wähltelefon, einen Kalender und die Karte der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vor Augen. Fotos: Jürgen Freitag/DDR-Museum Berlin
Rund 150 Redakteure arbeiten heute bei der „Freien Presse“. Unter ihnen sind einige, die schon zu DDR-Zeiten an den Schreibtischen saßen – und für eine Parteizeitung geschrieben haben. Wie geht das, fragen sich vor allem junge Menschen. Wer zähmte die Journalisten? Und spielte eine politische Überzeugung eine Rolle?
Wenn Jugendliche über „früher“ sprechen, ist da meist nichts. Kein Wissen, keine Idee, keine Vorstellung, wie der Alltag der Menschen aussah damals, vor ein paar Jahrzehnten. So auch beim Thema Journalismus in der DDR. Wie kann man für eine Parteizeitung arbeiten und später für ein freies Medium, lautet eine der häufigsten Fragen.
Der Medienwissenschaftler Rüdiger Steinmetz, Professor an der Universität Leipzig, kennt eine von vielen Antwort darauf: „Manche Journalisten haben mit Leib und Seele geschrieben“, sagt er. Dafür hätten sie die Zensur, die Frustration in Kauf genommen. Dass die Medien aus Berlin gelenkt worden, sei jedem bewusst gewesen. „Alle waren eingebunden in die sozialistische Idee.“
![39 Zeitungen aber nur eine Meinung: Wer politische Informationen suchte, schaute Westfernsehen. 39 Zeitungen aber nur eine Meinung: Wer politische Informationen suchte, schaute Westfernsehen.]()
39 Zeitungen aber nur eine Meinung: Wer politische Informationen suchte, schaute Westfernsehen.
Zwar veränderte sich der DDR-Journalismus über die Jahre, aber bestimmte Wahrheiten fanden nicht statt. „Umweltthemen wie das Sterben der Wälder hat man vergebens gesucht“, sagt Steinmetz. Die Medien, die Journalisten waren nicht frei – anders als heute. Zwar gebe es gewisse Zwänge, weil sich die Zeitung verkaufen muss, sagt er. Das sei aber nicht vergleichbar mit einem umfassenden Zensur-System, wie es in der DDR betrieben wurde. „Heute finden sich alle relevanten Informationen und Stimmen in der Zeitung.“
Junge Menschen seien damals in der Regel aus den gleichen Gründen wie heute Journalisten geworden, sagt Michael Meyen, Professor für Medienforschung an der Universität München. „Sie wollten kreativ arbeiten, Dinge sehen, die dem normalen Bürger verborgen bleiben und hinter die Kulissen schauen.“
In den Redaktionsstuben hätten aber auch einige „Überzeugte“ gesessen, so Steinmetz. Der „willfährige Propagandist“ stand zumeist an vorderster Stelle – Chefredakteur, Stellvertreter, Parteisekretär. „Das waren die Leute, die man nach der Wende geschasst hat“, erklärt der Leipziger Medienwissenschaftler.
Dass die Zensur des SED-Zentralkomitees geräuschlos funktionierte, hat mehrere Gründe. Einer sei, dass manche Journalisten ähnliche Ziele verfolgt hätten, sagt Meyen. „Sie wollten die DDR schöner, stärker, besser machen.“ Der Medienforscher untersuchte in 31 Gesprächen, wie wichtige Akteure des DDR-Journalismus ihren Weg in den Beruf fanden. Eine zentrale Erkenntnis: Die Medien in der DDR lassen sich am besten mit der PR-Abteilung einer großen Firma vergleichen. „Die Journalisten waren abhängig von der Politik und haben PR für die DDR gemacht.“
Laut Steinmetz sind die Zeitungsjournalisten trotz Zensur sehr gut ausgebildet gewesen. „Sie kannten alle relevanten Darstellungsformen und wussten, wie man gutes und verständliches Deutsch schreibt. Sie konnten sogar kritisch sein.“ Nur anwenden durften sie das volle Handwerkszeug nicht. „Also haben sich viele zwischen den Zeilen ausgetobt.“
!["Organ der Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands": Die "Freie Presse" war zu DDR-Zeiten eine Parteizeitung.]()
“Organ der Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands”: Die “Freie Presse” war zu DDR-Zeiten eine Parteizeitung.
Drei “Freie Presse”-Redakteure erinnern sich an damals:
„Es gab einen ganzen Katalog mit Worten und Themen, über die man nicht berichten durfte“ – Viola Martin, hat im September 1978 bei der „Freien Presse“ angefangen und arbeitet heute in der Lokalredaktion Zwickau:
„Früher stand man immer unter Beobachtung der SED-Kreisleitung und des Rates des Kreises. Ich musste mal jede Menge Stellungnahmen abgeben, nur weil ich geschrieben hatte, dass es abends in Limbach-Oberfrohna kein Brot mehr gab. Und das stimmte. Aber nach dem Motto ‚Weil nicht sein kann, was nicht sein darf‘ hätte ich das niemals schreiben dürfen.
Ich erinnere mich, dass es einen ganzen Katalog mit Worten und Themen gab, über die man nicht berichten durfte. Den hatten die Lokalchefs in ihrem Schreibtisch eingeschlossen. So durfte kein Redakteur die Wortkombination ‚alte Ställe‘ verwenden. Denn in der DDR gab es nichts Altes.
Offensichtlich zu lügen, ging im Lokalen nicht. Man musste ja immer wieder raus und zu den Leuten gehen. Aber Dinge, die nicht in Ordnung waren, wurden einfach totgeschwiegen.
Damals hatten mehrere Redakteure zusammen eine mechanische Schreibmaschine. Jeder schrieb erst einmal mit der Hand ein Konzept und tippte es erst später, wenn er an der Reihe war. Nur der Lokalchef hatte eine für sich. Ich habe oft abends zu Hause auf meiner Erika-Koffer-Schreibmaschine Beiträge geschrieben, die mir besonders am Herzen lagen.“
„Zu DDR-Zeiten war die Zeitung fast fehlerfrei“ – Dietmar Bartel, hat 1981 bei der „Freien Presse“ volontiert und arbeitet heute im Ressort Ratgeber in Chemnitz:
„Ich habe immer gern und viel geschrieben. Schon als Kind war ich von Zeitungen fasziniert. Als ich zu DDR-Zeiten bei der ‚Freien Presse‘ volontiert habe, war sie eine Parteizeitung. Das hieß, dass man getreu der Partei-Linie zu schreiben hatte. Darüber war man sich im Klaren, das hatte man auch irgendwie verinnerlicht. Damals glaubte ich ja auch ans System. Dass ich persönlich über manche Dinge anders gedacht habe, spielte keine Rolle.
Ein Beispiel: Als die Menschen im Jahr 1989 über Ungarn in den Westen gingen, stand davon kein Wort in der Zeitung. Die ‚Freie Presse‘ war nun mal ‚Organ der Bezirksleitung‘. Die Vorgabe aus Berlin hieß: Wir bereiten den 40. Jahrestag der DDR vor und was anderes kommt nicht ins Blatt. Ich erinnere mich, dass wir damals hier in der Redaktion standen, uns angeschaut haben und mit dem Kopf schüttelten. ,Das kann doch nicht wahr sein‘, dachten wir. Aber es hat keiner Widerstand geleistet.
Ein anderes Beispiel: Als ich 1988 als Jungredakteur mit dem DDR-Jugendreisebüro im Rahmen einer Städtepartnerschaft mit Aue (Erzgebirge) nach Genua in Italien fahren durfte, war ich von meiner ersten ‚Westreise‘ so überwältigt, dass ich zu Hause erst einmal geheult habe. In dem Beitrag, den ich für die Zeitung schreiben durfte, habe ich dann aber eben vor allem die „Schattenseiten“, also die Arbeitslosigkeit und den Bettler, von dem ich froh war, ihn zu haben, thematisiert, weil das einfach nur so ins Bild passte. Eine Seite allein darüber, wie schön es dort war, wäre ohnehin nie erschienen.
Die mehrfache Kontrolle der Seiten, dass vor allem politisch nichts Falsches im Blatt steht, hatte übrigens auch ihr Gutes: Zu DDR-Zeiten war die Zeitung fast frei von Rechtschreibfehlern – davon können wir heute nur träumen.“
„Frei oder nicht frei? Es war eben ‚normal‘“ – Silke Luthardt, hat 1972 bei der „Freien Presse“ volontiert und arbeitet im Ratgeber-Ressort in Chemnitz:
„Aus heutiger Sicht stellen sich manche Dinge anders dar, als ich sie damals empfunden habe. Repressionen habe ich persönlich aber nicht erlebt. Vielleicht auch, weil man vom Sozialismus überzeugt war. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, Kritik am System, den Abläufen und Aufgaben in der Redaktion zu üben. Lügen, also wissentlich die Unwahrheit verbreiten, musste ich nie. Das liegt aber auch daran, dass man bei seinen Recherchen gar nicht alles erfahren hat.
Frei oder nicht frei? Es war eben ‚normal‘. Die Recherche gab in der Regel der Abteilungsleiter vor; dann hat man sich bei den Betrieben oder Einrichtungen angemeldet. Dort wurde festgelegt, welche Personen Auskunft geben. Wirklich frei war ich deshalb natürlich nicht – weder bei der Wahl der Quellen, noch der Ansprechpartner.
Gut funktionierte zu DDR-Zeiten die Mitarbeit sogenannter Volks- und Fotokorrespondenten. Heute sagen wir freie Mitarbeiter. Sie haben schon damals im Auftrag der Zeitung Beiträge oder Fotos geliefert und die Redakteure mit Informationen unterstützt. Das funktionierte besonders gut in den Lokalredaktionen. Auch Personalnot und unterbesetzte Redaktionen waren mir damals ein Fremdwort. Das könnte ein Grund dafür sein, warum damals Termindruck geringer war als heute.“
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