Auch wenn wir Volos vom Status der alten Hasen weit entfernt sind, so richtig aufgeregt sind auch wir vor Terminen nicht mehr. Außer vor einem Interview mit Matthias Schweighöfer vielleicht. Alle von uns haben vor dem Volontariat ein paar Jahre als freie Mitarbeiter gearbeitet – und stürzen sich deshalb nicht erst mit Beginn des Volos ins Journalistendasein.
Abenteuerexpedition – in Chemnitz
Das Gefühl, das sich in mir breit machte, als ich hastig gegen 21.30 Uhr an einem Abend vor einigen Wochen meine Sachen zusammenpackte, war deshalb ganz schön ungewohnt. Einmal im Monat treffen wir uns alle in Chemnitz zum Volotag und bekommen quasi Theorieunterricht. Das Thema Reportage, viele Kollegen sehen sie als Königsdisziplin im Journalismus an, war in zwei Teile aufgeteilt. Die Theorie war an einem Tag erarbeitet worden, nun stand an diesem Abend die praktische Umsetzung für mich an. Ich hatte mir überlegt vier Chemnitzer, die nachts arbeiten, zu besuchen, weil ich wissen wollte, wie die Nachtarbeit sie verändert. Nach einigen Vorgesprächen und Telefonaten stand mein genauer Ablaufplan mit Adressen, Ankunftszeiten und Telefonnummern fest. Doch was muss man eigentlich alles einpacken, wenn man die ganze Nacht unterwegs ist – und zwar nicht um zu feiern, sondern um zu arbeiten?
Bloß nicht hinsetzen
Erstmal musste sichergestellt werden, dass meine Grundbedürfnisse während dieser Nachtschicht gestillt würden. Also packte ich Kekse, Wasser und einen Apfel ein. Was ist, wenn ich selbst einfach zu müde werde? Nichts ist doch peinlicher, wenn man im Gespräch anfängt zu gähnen. Mehrere Flaschen Energydrink mussten her. Übermüdete Menschen frieren, ein Zusatzpullover kam also auch in die Tasche. Meistens mache ich mir auf Terminen nur Notizen, aber ein Diktiergerät kann nie schaden. Vielleicht bin ich ja irgendwann zu müde um zu schreiben. Und zwei Kulis sind auch besser als einer. Am allerbesten sind jedoch Bleistifte, die schreiben auch noch, wenn der Notizblock nassgeregnet ist. Zu blöd, wenn ich irgendwelche Hauseingänge nicht finden würde in der Dunkelheit. Deswegen kam auch eine Taschenlampe inklusive Ersatzbatterien mit in die Tasche. Langsam kam ich mir vor, als würde ich zu einer Abenteuerexpedition aufbrechen. Schnell noch den Handyakku aufladen und los gings.
Berufsrisiko: Festquatschen
Ich sammelte noch unseren Fotografen Georg Dostmann ein, denn die beste Reportage taugt nichts, wenn es keine tollen Bilder dazu gibt. Gegen 22.30 Uhr parkte ich in der Innenstadt und musste feststellen: In Chemnitz beginnt die Nacht etwas früher als anderswo, denn es waren kaum noch Autos auf den Straßen. Erste Station: Callcenter. Journalisten gehören zu den besonders neugierigen Menschen, deswegen frage auch ich immer viel mehr, als ich eigentlich für meine Geschichten wissen muss, wenn ich die Menschen interessant finde. Festquatschen ist deshalb ein Berufsrisiko.
Gegen 0.30 Uhr machte ich mich auf den Weg zum Druckzentrum der Freien Presse, wo reges Treiben herrschte. So langsam merkte auch ich, was es heißt nachts zu arbeiten. Bloß nirgends hinsetzen. Der Vorrat an Energydrink wurde langsam weniger, als ich um 1 Uhr vom Gelände an der Neefestraße Richtung Reichenhainer Straße fuhr. Der spannendste Besuch in dieser Nacht stand an und ich war froh, schon zum Vorgespräch in der JVA Reichenhain gewesen zu sein. Was zuerst alles total aufregend wirkte, war auf einmal doch ganz schön bedrückend, als ich durch die Gänge des Frauengefängnisses gehen durfte. Jetzt wusste ich wenigstens, was mich erwartete. Durch einen Seiteneingang wurde ich hinter den riesigen Stacheldrahtzaun gelassen und musste meinen Personalausweis abgeben. Über zwei Stunden unterhielt ich mich mit dem JVA-Beamten, der über eine Stellenanzeige in unserer Zeitung auf den Job im Gefängnis aufmerksam wurde.
Um 4.30 Uhr fuhren Georg und ich zurück in die Stadt und klingelten an der Tür zur Backstube von Uwe Hahn. Mir lief bei den tollen Gerüchen das Wasser im Mund zusammen. Im Geschäft füllten die beiden Verkäuferinnen die Theke mit frischen Brötchen und Teilchen und um kurz vor sechs Uhr klopfte schon ein erster Kunde an die noch verschlossene Tür. Die Straßen füllten sich wieder mit Leben und ich war auf einmal überhaupt nicht mehr müde. Das ist nämlich das allerschönste an unserem Beruf: Manchmal bekommt man die Möglichkeit hinter die Kulissen zu schauen. Und dafür die Nacht durchzumachen lohnt sich einfach immer.
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