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Ode an das Trash-TV

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Trash-Formaten kann man mittlerweile kaum mehr entkommen. Überall wimmelt es von dramatischen Wutausbrüchen, herzerwärmenden Paarungszeremonien und gestählten Kandidat:innenkörpern. Fluch oder Segen? Volontärin Eva-Maria Gey vertritt da eine klare Meinung.

„Schalt das weg, wir geben denen keine Einschaltquote“, hat meine Mutter früher immer gesagt, wenn ich bei sogenannten Trash-Formaten hängengeblieben bin. Ich tat wie mir gesagt und akzeptierte, dass diese Formate wohl nicht gut seien. Mittlerweile weiß ich es besser. Zum einen, dass es völlig egal gewesen wäre, ob ich umgeschaltet hätte oder nicht, weil wir sowieso keine Quotenbox zuhause hatten. Viel wichtiger ist aber die Erkenntnis, dass Trash-TV ein wahrer Goldschatz ist.

„Bachelor“ und „Bachelorette“ zogen mich vor einigen Jahren in ihren Bann und ich begann zu verstehen, dass es keine Sünde ist „nur für den Fame“ (sag bloß!) an derartigen Formaten teilzunehmen. Ich hangelte mich über Klassiker wie „Love Island“, „Das Sommerhaus der Stars“, „Kampf der Realitystars“ und viele weitere Formate bis hin zu „Bachelor in Paradise“. Das Prinzip ist simpel, die Kandidat:innen werden in eine Unterkunft gesteckt, zwischendrin werden ab und an Spiele gespielt oder Dates veranstaltet und was dazwischen passiert, ist Menschlichkeit und manchmal auch Unmenschlichkeit in ihrer reinsten Form.

Es gibt immer den Moment, an dem „die Masken fallen“, „es richtig ernst wird“ oder jemand „sein wahres Gesicht zeigt“. Wer einmal in den Sog des Trash-TV geraten ist, wird so schnell nicht wieder herauskommen. Dieser Schauplatz der ganzen Palette menschlicher Charaktere, Abgründe und Verhaltensweisen bietet sowohl Unterhaltung als auch Schlupfloch aus dem Alltag und guten Gesprächsstoff mit ebenso interessierten Freund:innen.

Zu sehen ist im Hintergrund ein Fernseh-Bildschirm, auf dem ein Trash-Format läuft. Zwei Personen sitzen in dem gezeigten Ausschnitt nachdenklich auf einem Bett. Im Vordergrund sieht man eine Hand, die eine Fernbedienung auf den Fernseher richtet.
Leute, schaut mehr Trash-TV! (Foto: Eva-Maria Gey)

Völlig zurecht werden viele Formate dafür kritisiert, dass sie mitunter 50er-Jahre-Menschenbilder reproduzieren. Oder dass sie feministische Fortschritte mit Anlauf einreißen. Gelingt es jedoch diese Aspekte für einen kurzen Moment auszuklammern, lohnt es sich umso mehr die Kandidat:innen auf ihren Held:innenreisen oder Abstiegen zu begleiten. Vielleicht ist auch gerade dieser Bruch dieser richtigen und wichtigen Normen das reizvolle an den Formaten. Nicht auf „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Art, sondern auf charmante, mitunter unwissende Art. So kommt es doch ab und an vor, dass Kandidat:innen sichtbare Lernprozesse durchlaufen und im nächsten Format aus ihren Fehlern lernen.

Eine wahre Bereicherung sind beispielsweise Shows wie „Prince Charming“ und „Princess Charming“, die endlich Repräsentation jenseits der Heteronormativität liefern und deshalb vollkommen zurecht mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurden.

Man kann viel lernen im Trash-TV und vor allem für einen kurzen Moment aus der eigenen Filterblase ausbrechen. Mal legen die Kandidat:innen offen, dass es immer schlimmer geht, dass die Fiesheit der Menschen leider manchmal keine Grenzen kennt und dass das Böse mitunter gewinnt. Dann gibt es aber wieder Momente, die Hoffnung geben, dass der Mensch im Grunde doch gar nicht so schlecht sein kann. Daher sehe ich es genau wie Journalistin und Autorin Anja Rützel: Es ist Mist aber ich mag‘s.


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