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Patient tot – Das neue Album der Ärzte in der Track-by-Track Kritik

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Nach Licht kommt Schatten. Nicht nur titelbezogen wird aus „Hell“ (2020 erschienen) nun „Dunkel“. 19 Titel und über eine Stunde Laufzeit sind erstmal eine Ansage, aber die Ärzte können doch, gerade nach dem tollen letzten Album, nicht viel falsch machen – oder etwa doch? Volontär Tristan Herold auf Odyssee durch das vierzehnte Studioalbum der Band.


Nach kurzem, nicht weiter erwähnenswerten Quatsch-Intro (immerhin hat man den Begriff „Karnickelfickmusik“ untergebracht) geht es mit „Wissen“ los. Simpler Herzschmerztext, sauber von Farin Urlaub vorgetragen. Hört man sich zweimal an, aber kein drittes Mal.

Es folgt mit „Dunkel“ der Titel-Track. Peinliche Reime, ein Text wie von einem Teenie mit Zirkel auf den Spanholz-Tisch im Matheunterricht geritzt. Hier möchte man schon skippen, aber der Autor soll das Album ja rezensieren. „Mein Humor ist schwarz, schwarz wie Kaffee“ heißt es darin- während des Songs kann man sich definitiv einen Kaffee aus der Kantine holen, verpassen tut man nix.

Dann kommt auch schon der schlimmste und blödeste Song, der obendrein mal so gar nicht zu den Ärzten passen will. Farin Urlaub schreit in bester „Deine Schuld“-Manier „Kommunismus oder Religion?“ und „Sarkasmus oder Aggression?“. Man möchte meinen, jetzt kommen klare Bekenntnisse oder zumindest ein okayer Gag. Stattdessen ist der Sänger gegen alles, immer Anti, singt „Wenn das meine Wahl ist – Bin ich gegen alles“. OK Farin, dann bist du eben gegen Faschismus, Kommunismus und Sarkasmus- ist das alles gleich blöd?

Ähnlich „Doof“ geht es auch weiter. Passend, dass der Song sogar so heißt. Bela B singt über dumme Nazis und dass man mit denen am besten gar nicht reden soll. Neonazis also LINKS liegen lassen, zwinker zwonker. Hochnotpeinlich wird es dann bei „Könn’n wir mal alle chill’n? Wir lassen die im Still’n sein, wer sie sind“. Auweia. Blöd nur, lieber Bela, dass Nazis gar nicht so still sind und nicht selten gewaltbereit und ziemlich laut auftreten. Weglächeln kann man die nun wirklich nicht mehr.

„Schrei“ ist sowas wie der Ärzte-Song „Quark“, nur stumpfer. That´s it.

Toxische Männlichkeit wird in „Kraft“ beschrieben genauso wie die Kraft der Worte, mächtiger als das Schwert und so. Alles schon viel besser gelesen und gehört, Langeweile macht sich beim Autor breit. Er will das eigentlich gar nicht weiterhören.

Der beste Song beim letzten Album hieß „Ich am Strand“- eine Lebensgeschichte mit einigen Hochs und Tiefs und -Achtung- echten Gefühlen. In diese Kerbe möchte auch „Tristesse“ schlagen. Farin Urlaub, beziehungsweise das lyrische Ich, plagt die Schwermut, er suhlt sich in der Einsamkeit und wird dabei vom Frauenchor im Refrain begleitet. Okayer Song, aber immer noch zu wenig.

In „Kerngeschäft“ trifft Bela B eigentlich ganz gut den Ton von diesem Album. „Alles wiederholt sich, keiner hat mehr ’ne Idee“- ist das schon knallharte Selbstironie oder geht’s hier nur um die Anderen? Weil Selbstironie nämlich nicht soooo gut funktioniert, wenn das Produkt schlecht ist. Ein Autor kann immerhin auch kein schwaches Buch schreiben und dann aufs Cover den Titel „Bücher sind schlecht“ packen.

Highlight Song Nummer 11! Der Autor freut sich und vergisst beinahe den Ärger der vorangegangenen Songs. Top Party und Konzert-tauglicher Sound bei „Noise“ (sprich: Neues- hihihi). Der Text ist recht simpel, aber nicht ganz so blöd wie andere Titel auf dem Album. Man möchte meinen, dass „Noise“ vom vergangenen Album übriggeblieben ist. Yeah! Aber: Es kommen noch acht Songs.

Der Song „Noise“ erschien auch als Single-Auskopplung; sogar auf Vinyl. (Foto: Die Aerzte/dpa)

Wieder Toxische Männlichkeit bei „Einschlag“. Es geht um häusliche Gewalt. Der Song ist düster gehalten, kommt beinahe ohne Ironie aus. Aber eben auch ohne Geist wie der im Entferntesten verwandte „Manchmal haben Frauen“. Was auch hier wieder unangenehm auffällt: Die ideenlose Einfältigkeit der Texte, kein doppelter Boden, man findet nix zwischen den Zeilen. Next One.

Endlich! Es geht um Männer. Es geht um Dating. Ein Abend wird beschrieben, wie ihn fast jeder schon einmal erlebt hat. Kennengerlernt via App, nun das erste Treffen. Beachtenswert ist, dass hier sämtliche kreative Möglichkeiten liegengelassen werden, dem Autor wird wieder langweilig, dem Leser dieser Rezension vielleicht allmählich auch.

Titel Nummer 14 heißt „Besser“ und ist trotzdem nicht besser als seine Vorgänger.

Nicht noch ein Liebessong denkt man sich bei „Nachmittag“. Das lyrische Ich kommt zum hochphilosophischen Schluss „Liebe ist……Kompliziert“. Wandtattoo-Vibes incoming. Könnte charmant sein, wenn ein verliebter 14-Jähriger das für seinen Crush komponiert, textlich kommt hier mal wieder zu wenig rüber. Aber vielleicht ist Liebe ja wirklich so kompliziert, dass nicht einmal die Ärzte im Jahr 2021 da einen anständigen Song darüberschreiben können.

In Song 16 und Song 17 passiert dann so gut wie gar nix, im Gegensatz zu dem passablen „Noise“ stellt sich hier wirklich kurz vorm Ende der absolute Nullpunkt ein. Den Ärzten fällt nix mehr ein, sie sind mit ihrem Latein am Ende. „Die Menschheit ist ein Arschloch, Baby Ist sie immer schon gewesen“ heißt es in „Menschen“. Quasi die Gegenthese zu Grönemeyers „Mensch“. Nette Idee, meterweit über das Tor hinaus geschossen und irgendwo im hohen Gras gelandet. Und die Sinnsuche in „Erhaben“ führt den Hörer auch nicht voran. Der Patient ist tot.

„Danach“ borgt sich die Melodie von „Einmal ein Bier“ aus dem Vorgängeralbum, wird gemischt mit ein paar Orgelklängen und ist allgemein düsterer. Ach ja, das Album heißt ja „Dunkel“- pfiffig!

Endspurt auf dem nicht enden wollenden Pfad der Ärzte. Da packt die Band nochmal die ganz großen Themen an. Es geht um die Demokratie in „Our Bass Player Hates This Song“. Hier und da gibt es Verweise auf die alten Songs, die besseren Songs. Aber spätestens (immerhin letzter von 19 Songs) bei „Demokratie ist kein Fußballspiel, Bei dem du nur Zuschauer bist“ fragt sich der Autor, ob das Album in dieser Art und Weise wirklich notwendig gewesen ist. Dazu erinnert das Ding auch an diverse Promis, die kurz vor der Bundestagswahl Pappschilder in die Insta-Kamera halten, auf denen „Geht wählen“ steht. Nur, dass es den Ärzten wohl wirklich ernst ist und der Autor die Intention abnimmt. Hilft leider nicht dabei, die Qualität des Albums auf ein besseres Level zu heben.


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