Das erste Quartal 2014 ist rum – und ich habe mich so ziemlich jeden Tag mit komplett unterschiedlichen Themen beschäftigt. Ich habe in der Online-Redaktion gearbeitet, im Newsdesk die beliebte Klatschseite mit verrückten, kuriosen, krassen oder bewegenden Nachrichten aus aller Welt gefüllt und im Ratgeber-Ressort verschiedene Beiträge geschrieben.
Am spannendsten finde ich nach wie vor die Online-Redaktion. :) Ich habe mich durch die sozialen Netzwerke soviel näher und unmittelbarer am Leser gefühlt, die ganze Nachrichtenwelt dreht sich online viel schneller als im Print und ich war manchmal acht Stunden lang wie im Rausch: Polizeimeldungen checken, Artikel wichten, Rangfolgen festlegen, Bildstrecken bauen, neue Ideen entwickeln, Strukturen überdenken, Themen beobachten, Aktionen planen, und natürlich permanent die sozialen Netzwerke Facebook, Twitter und Google+ sowie die Kommentare der Nutzer auf freiepresse.de im Auge behalten.
Ehrlicher, als einem manchmal lieb ist
Dabei habe ich aber auch gemerkt, dass der Leser längst nicht immer so tickt, wie wir Journalisten uns das vorstellen, wünschen, erträumen. Denn: Was lesen Freie Presse-Leser eigentlich gerne? Was regt sie auf? Was berührt sie? Was langweilt sie? Die Antworten bekomme ich nun knallhart auf dem Silbertablett präsentiert: Klickzahlen schwindeln nicht. Und die Kommentare der Online-Leser und Facebook-Nutzer sind oft ehrlicher, als einem lieb sein kann.
Ich bleibe mal beim Thema Facebook: Mittlerweile hat die Freie Presse mehr als 29.000 Fans. Die Sächsische Zeitung finden rund 21.000 Leser gut, die Leipziger Volkszeitung knapp 16.500. Etwa 6000 Leser mögen die Lausitzer Rundschau, knapp 3500 Leute sind Fan vom Vogtlandanzeiger. Das sind alles Zeitungen in Sachsen. Wow, könnte man denken, 29.000 – das sind ja viele! Ja, sind es auch :) Aber nicht alle vergöttern uns (Ach nee!). Im Netz ist dem Ärger schneller Luft gemacht als im realen Leben, am Lesertelefon, per E-Mail oder Brief. Es lässt sich leichter kommentieren, diskutieren, meckern und besserwissern.
Hin und wieder entwickeln sich spannende Diskussionen zu einem Artikel, den wir auf Facebook posten. So zum Beispiel hat das Thema 2015 sollen die ersten Schulen Tablet-Computer im Unterricht nutzen unterschiedliche Kommentare aus den Nutzern herausgekitzelt
Und was heißt das für uns?
Ist doch gut, wenn alle diskutieren! Das bringt Klicks, Klicks, Klicks. Ja, das dachte ich am Anfang. Bis ich im Minutentakt neue Kommentare daraufhin kontrollieren durfte, ob sie beleidigend, bedrohend, pornografisch, obszön, diffamierend, verleumdend, volksverhetzend oder rassistisch sind. Jeden. Einzelnen. Kommentar. Checken.
Da stellen sich Fragen wie: Wo liegt die Grenze zwischen “ok, geht noch” und “geht nicht mehr”? Ab wann blende ich einen Kommentar aus? Begründe ich diesen Schritt den Kommentierenden gegenüber? In welche “Schlammschlacht” mische ich mich – stellvertretend für die Freie Presse – ein, um ein paar Fakten klar zu stellen?
Es ist ein permanentes Abwägen. Ja oder nein. Vielleicht gibt’s nicht. Und trotzdem muss ich von Fall zu Fall entscheiden.
Die eigentliche Krux an der ganzen Sache ist aber, dass der ganze Spuk nicht mit Redaktionsschluss aufhört (mal abgesehen davon, dass es in einer Online-Redaktion eigentlich keinen Redaktionsschluss, keine Deadline gibt). Auch spät am Abend, mitten in der Nacht oder Tage nachdem der Artikel gepostet wurde, wird dieser noch kommentiert. Nur gerät er mit weiteren Facebook-Posts aus dem Auge und im laufenden Tagesgeschäft auch mal aus dem Sinn. Trotzdem ist der Anbieter einer Fanseite bei Facebook für den Inhalt auf seiner Seite verantwortlich.
Manche Themen können nicht mehr gepostet werden
Damit komme ich zum Kern des Problems: Wie soll es eine kleine Online-Redaktion mit wenigen Mitarbeitern schaffen, die Posts aller spannenden, kontroversen Themen rund um die Uhr zu kontrollieren? Die Ressourcen sind begrenzt und die Pflege des Facebook-Auftritts nur eine von vielen Aufgaben der Online-Redaktion. Die Antwort: Es können einfach nicht alle spannenden, hohe Wellen schlagenden Geschichten gepostet werden, weil die Flut der Kommentare uns regelrecht überrollen würde und wir zu nichts anderem mehr kommen, als Facebook-Kommentare zu beurteilen. Das gilt besonders bei Themen wie beispielsweise Asylbewerber, die rechte Szene oder Hartz IV. Innerhalb von wenigen Stunden schaukeln sich die Facebook-Kommentatoren gegenseitig so hoch und vertreten – oft hinter Pseudonymen versteckt – die verworrendsten, krassesten Meinungen, die sie in einer realen Diskussionsrunde vermutlich niemals äußern würden.
Hier noch ein Beispiel: Anfang Januar sorgte in Freiberg die Geschichte eines Iraners für Aufsehen, der seit 17 Jahren im Asylbewerberheim lebt und trotz Zuckerkrankheit keine eigene Wohnung bekommt. Mich hat die Geschichte betroffen gemacht. Ich dachte: “Hey, das Thema wühlt auf. Das muss ich auf Facebook posten.” Meine Kollegen, die bereits seit einigen Jahren in der Online-Redaktion arbeiten, haben mich gewarnt: “Du kannst die Geschichte gern posten, aber dann kümmerst du dich auch um die Kommentarflut.” Geht klar, dachte ich. Und: Deshalb können wir das Thema doch nicht nicht auf Facebook teilen.
Ich habe es gepostet. Und umgehend die Quittung gekriegt.
Die Kommentare reichten von etwa “Mir doch egal, ob der was isst”, über sowas wie “Das Amt hat versagt” oder “Krasser Fall” bis “Warum ist der überhaupt noch da? Abschieben” und so weiter. Die Kommentare waren immer heftiger geworden, polarisierten, schweiften auch völlig ab vom Thema, sodass wir uns entschieden haben, den Beitrag aus dem Netzwerk wieder zu entfernen. Wir konnten die Kommentarflut einfach nicht stemmen. Schade.
Aber ich habe in den zwei Monaten ein bisschen ein Gefühl dafür bekommen, was geht und was nicht. Ganz oft zählt dabei auch das Bauchgefühl oder eben die Erfahrung der Kollegen – einen Leitfaden á la “So platzierst du Themen bei Facebook richtig” gibt es nicht. Das muss jeder Facebook-Nutzer und jede Online-Redaktion für sich selbst herausfinden.
Zum Schluss eine Frage an euch: Bei welchen Themen zuckt es in den Fingern? Was regt euch auf? Wie kommentiert ihr? Kommentiert ihr überhaupt – oder reicht ein “Gefällt mir” als Beteiligung? Nutzt für eure Antworten einfach die Kommentarfunktion hier :)
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